In diesem Brief an die Freunde und Wohltäter Nr. 79 weist der Generalobere der Priesterbruderschaft St. Pius X., Mgr. Bernard Fellay, auf das bevorstehende Weihnachtsfest hin. Mit Worten aus dem Credo des 11. Konzils von Toledo ruft uns Bischof Fellay die Menschwerdung Gottes in Maria, der Jungfrau, und die Geburt des Sohnes Gottes in Erinnerung: „Der vor aller Ewigkeit von einem Vater ohne Mutter geboren wurde, wird in der Zeit von einer Mutter ohne Vater geboren!“ (Glaubensbekenntnis des 11. Konzils von Toledo)
Liebe Freunde und Wohltäter!
In wenigen Tagen feiern wir das glückliche Ereignis der Geburt unseres Herrn Jesus Christus. Die heilige Liturgie des Advent und der Weihnachtszeit ist erfüllt vom Glauben an die Gottheit unseres Herrn. Wir berufen uns vor allem auf das Alte Testament, wo seine Ankunft vorausgesagt wird; sie durchdringt unseren Verstand und unser Herz mit der unendlichen Größe der Privilegien und der Rechte des neugeborenen Kindes.
„Der vor aller Ewigkeit von einem Vater ohne Mutter geboren wurde, wird in der Zeit von einer Mutter ohne Vater geboren!“ (Glaubensbekenntnis des 11. Konzils von Toledo)
Indem er die menschliche Natur von der allerseligsten Jungfrau Maria in der Weise empfing, dass er ihre Jungfräulichkeit bewahrte, bewies er, dass er nichts von seiner Gottheit verloren hatte. „In dem Dornbusch, den Moses sah und der nicht verbrannte, erkennen wir deine lobwürdige immerwährende Jungfräulichkeit.“ (Antiphon der Laudes vom ersten Januar) Wahrer Gott und wahrer Mensch, so gefällt es der Kirche, Jesus, den Retter, zu empfangen, den wir mit dem Titel eines Königs ehren.
Der König des Friedens – Rex pacificus. Wir möchten hier diese Wahrheit ein wenig beleuchten, die sich gleichsam im Inneren der Krise befindet, die die Kirche erschüttert und die die Beziehungen der Bruderschaft St. Pius X. mit dem Heiligen Stuhl bedingt.
Es scheint uns nämlich, dass man die grundsätzliche Ursache des aktuellen Problems mit einem Verlust des Glaubens an die Gottheit Jesu Christi zusammenfassen kann. Sicher, viele widersprechen und sagen, dass sie an die Gottheit Jesu glauben, aber sehr wenige sind bereit, die Konsequenzen aus dieser fundamentalen Wahrheit zu ziehen, die sich den Augen der ganzen Welt am Ende der Zeiten machtvoll zeigen wird. Dann wird er endlich seine Herrlichkeit in ihrer ganzen Fülle aufstrahlen lassen. Die Ausdehnung seiner Gewalten auf alle Geschöpfe wird so sein, dass alle Menschen, Heiden, Christen, Atheisten, Ungläubige, alle sich vor ihm niederwerfen werden, denn bei der Nennung seines Namens wird jedes Knie auf Erden und im Himmel sich beugen (vgl. Phil. 2,10).
Für die kurze Zeit seines irdischen Lebens, in dem es ihm eine Freude war, unter uns zu sein, hat er zum Teil seine Souveränität verborgen. Aber das war nur die Zeit der Prüfung, die Zeit, um seine Aufgabe als Erlöser zu erfüllen: „Er ist gestorben für unsere Sünden.“ (1 Kor. 15,3)
Aber während dieser Zeit, als er vor unseren Augen seine Allmacht verborgen hielt, hatte er sie keineswegs verloren. „Alle Macht ist mir gegeben im Himmel und auf Erden.“ (vgl. Joh. 1,3).
Die praktische Ablehnung der Gottheit unseres Herrn zeigt sich oft in der Geschichte der Menschen in der Ablehnung seines Königtums. Das ist schon der Titel und der Grund seiner Verurteilung: „Jesus Nazarenus, Rex Iudaeorum – König der Juden“ (Joh. 19,19).
In der Geschichte zeigt sich die Ablehnung Gottes sehr oft in der Weigerung, sich unserem Herrn Jesus Christus zu unterwerfen.
Man muss bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gehen, um Zeuge dieses unglaublichen Ereignisses zu sein, d.h. ein Konzil zu erleben, das sozusagen im Namen der Anpassung an die konkrete Situation der menschlichen Gesellschaft in voller Dekadenz die Verkündigung aller Zeiten abänderte, wo es heißt: „Er muss herrschen.“ (1 Kor. 15,25) Man gibt vor, dass eine solche Handlungsweise in Übereinstimmung mit den Evangelien sei, während es sich doch genau um das Gegenteil handelt.
Die Sophisten des Liberalismus haben verkünden lassen, der Staat, die menschliche Gesellschaft, die ja auch von Gott geschaffen ist, müsse die einzig wahre Religion mit allen falschen in der gleichen Weise behandeln. Man müsse jeder das Recht zugestehen zu existieren, sich ohne Behinderung zu entwickeln und ihren Kult auszuüben.
Man behauptete, sich dadurch den Missbräuchen des totalitären Staates zu widersetzen, welcher ungerechterweise die Menschen erdrücke und das Gewissen eines jeden vergewaltige. Die Freimaurer selbst haben ihrer Freude Ausdruck gegeben, unter der Kuppel von Sankt Peter diese ihre eigenen Thesen zu hören (vgl. Yves Marsaudon, L’oecuménisme vu par un franc-maçon de tradition, 1964).
Es ist ganz offensichtlich etwas Wahres an dem genannten Übel. Das Heilmittel aber ist das, worauf die Kirche immer hingewiesen hat: die Toleranz. Das Recht auf die Religionsfreiheit, so wie sie vom Zweiten Vatikanischen Konzil verkündet wurde, ist etwas anderes. Das ist einer der Punkte, wo wir mit dem Heiligen Stuhl nicht einer Meinung sind.
Diese Religionsfreiheit, welche das Wahre und das Falsche auf die gleiche Stufe stellt, befreit bewusst den Staat und die menschliche Gesellschaft von ihrer Pflicht, Gott, ihren Schöpfer, zu ehren und ihm zu dienen. Sie öffnet, was die Religion betrifft, den Weg zu allen Zügellosigkeiten. Es ist so, als ob man in der Kirche auf das Privileg verzichtet hätte, der einzige Weg des Heils für alle Menschen zu sein. Diejenigen, die daran noch glauben, sagen es nicht mehr. Viele lassen sogar das Gegenteil vermuten. Dieses Zugeständnis an die Welt von heute geschieht um den Preis des Königtums Jesu Christi.
Eine andere Konsequenz in der geraden Linie dessen, was soeben gesagt wurde, sieht man in der Praxis des Ökumenismus. Unter dem Vorwand, unseren „getrennten Brüdern“ näher zu sein, verkündet man die heilbringenden Wahrheiten nicht mehr, weil diese für sie hart zu hören sind. Man sucht nicht einmal mehr in entschlossener Weise, sie zu bekehren. Der Ökumenismus WILL NICHT MEHR BEKEHREN! Man hat dieses Wort verbannt, man duldet es noch, aber nur im Namen der Religionsfreiheit! Wo ist denn jetzt die Kirche unseres Herrn Jesus Christus? Wohin hat sich der Stolz der Katholiken verflüchtigt? Ausgerechnet ihre Vorsteher sind es, die sie so kleinmütig und verzagt machen! Wie man es kürzlich in Frankreich feststellen konnte, als man die gotteslästerlichen Theaterstücke hätte missbilligen müssen. Wenn solche Beleidigungen gegen die Moslems vorgebracht worden wären, dann hätte es Feuer und Blut im Land gegeben! Die Christen sind heute so schlapp geworden, dass sie alles geschehen lassen! Man greift hier nicht die Ehre eines irdischen Königs an, sondern den König der Könige, den Herrn der Herren, unseren Erlöser, von dem wir alles empfangen haben!
Es liegt uns natürlich daran, das Heil und die Rückkehr aller der so sehr geliebten Seelen zum Herzen unseres Herrn zu erleben, weil er sie um den Preis seines Lebens losgekauft hat! Aber die gegenwärtige Handlungsweise hat nichts mehr gemein mit der Sorge um die Einheit der Kirche, wie es doch in den vergangenen Jahrhunderten der Fall war. Alle Welt wird für gut gehalten. Und folglich würde der Gedanke, dass einige sich für ewig verdammen, zu einem Zetergeschrei führen. Man predigt, dass die Hölle leer oder beinahe leer sei. Die Lehre der Kirche aber ist eine ganz andere…
Ein dritter Stein des Anstoßes steht im Zusammenhang mit der überall festzustellenden Schwächung der Autorität.
Unser Herr ist das Haupt der Kirche. Weil er aber wollte, dass seine Kirche sichtbar sei, hat er ihr, als er selbst in den Himmel auffuhr, in der Person seines Stellvertreters auf Erden, nämlich des Petrus und seiner Nachfolger, ein sichtbares Haupt gegeben. Ihm allein hat unser Herr die Vollmacht erteilt, Lämmer und Schafe zu weiden. Er allein hat die volle, souveräne und unmittelbare Jurisdiktionsgewalt über alle und jedes einzelne Glied der Kirche. Darum hat sich die Kirche immer zur Monarchie erklärt, welche von einem Einzigen geleitet wird. Gewiss, es sind Menschen, die die Regierung ausüben, und daher ist es verständlich, dass man den Rat und die Ansicht von weiteren Personen erbittet. Aber die in die Kirche importierte Form der Demokratie – durch die Kollegialität und die parlamentarische Parodie der Bischofskonferenzen – ermöglicht alle Arten von Missbrauch und liefert die Anordnungen des göttlichen Rechtes dem Druck der Gruppe aus, obwohl dieses für jede Diözese nur ein einziges Haupt, nämlich den Ortsbischof, bestimmt hat.
Heute ist die Autorität ernsthaft ins Wanken geraten. Nicht nur von außen her, durch den Widerspruch der Verantwortlichen aus dem Laienstand, die da fordern, an der Regierung Anteil zu nehmen, sondern ebenso im Innern der Kirche durch die Einführung einer Menge von Räten und Kommissionen, die in der heutigen Atmosphäre die Ausübung der durch unseren Herrn Jesus Christus delegierten Autorität verhindern.
Ist es nicht erstaunlich festzustellen, dass wir bei jedem dieser Steine des Anstoßes im Grunde das gleiche Problem wiederfinden? Um der Welt zu gefallen – oder wenigstens, um sich ihr anzupassen und mit ihr zusammenzuarbeiten – hat man auf die eine oder andere Weise die Autorität Jesu Christi über die Christgläubigen und über alle Menschen, für die er sein Blut vergossen hat, und über alle Nationen, deren Glieder sie sind, geopfert.
Das ist es, was der Kirche schadet. Um aus dieser Krise herauszukommen, muss man „alles in Christus erneuern“ (Eph.1,10), überall und in allem ihm den ersten Platz geben, ihm, der alles in uns sein will. Solange man diesen liberalen Geist, welcher die Kirche vergiftet, nicht verlassen will, wird sie weiter dahinsiechen.
Wegen dieser schmerzvollen Realität sind unsere Beziehungen zu Rom schwierig.
Darum sprechen wir in der Bruderschaft so oft vom Königtum unseres Herrn Jesus Christus, denn dieses ist im praktischen Leben die Zusammenfassung der Anerkennung seiner Gottheit. Er hat ohne Ausnahme alle Rechte über uns.
Und ihm werden alle Menschen, Heiden und Katholiken, Junge und Alte, Reiche und Arme, Starke und Schwache, absolut alle, Rechenschaft über ihr irdisches Leben geben: Ihm, ihrem obersten Richter und ihrem Gott, von dem sie alles empfangen haben. Hoffen wir, dass diese Zeilen aufzeigen, wie aktuell die Lehre vom Königtum unseres Herrn ist, und dass der Kampf für dieses Königtum Jesu Christi nicht überholt, sondern im Gegenteil äußerst notwendig ist. Es ist dies heute eine Pflicht, um zu überleben.
Möge Unsere Liebe Frau, die Mutter Jesu, die Muttergottes, unsere Gebete hören um der Ehre ihres Sohnes willen. Möge sie uns beschützen und unsere kleine Bruderschaft inmitten so vieler Gefahren bewahren. Und möge sie unsere Führerin, unsere Fürsprecherin und unser Sieg gegen uns selbst und unsere Kleingläubigkeit sein. Sie sei unsere Hoffnung in der Erwartung ihres Triumphes, für den wir eifrig beten. Möge sie unsere Freude sein, jetzt und in alle Ewigkeit.
Nos cum prole pia benedicat Virgo Maria. – Maria mit dem Kinde lieb, uns allen deinen Segen gib.
+ Bernard Fellay
Am Fest des heiligen Apostels Thomas, 21. Dezember 2011